Diese Version berücksichtigt die Änderungsvorschläge, die während des BUVKOs an das Orga-Team herangetragen wurden.
Wahrnehmung ist alles – für eine nah-mobile Straßenraumgestaltung mit mehr Lebensqualität
Die Gestaltung eines Straßenraums hat Einfluss auf die Art seiner Nutzung. Die Einführung von innerörtlichen Regelgeschwindigkeiten (z.B. "Tempo 30“) erweitert Handlungsspielräume für effektive Umgestaltungen.
Je nach Art der Nutzungsschwerpunkte einer Straße sind unterschiedliche Gestaltungslösungenmöglich und notwendig. Wesentliche Parameter sind vor allem der Straßenraum als solcher, Nutzungen wie Einkaufen, Spiel, Aufenthalt, wie auch Verkehrsaufkommen von Autos, Fuß- und Radverkehr, Bus und Straßenbahn.
Ziel von Planungen müssen die "selbsterklärenden Straßen" sein. Durch Erkenntnisse der Verkehrspsychologie soll die Motivation zum langsamen Fahren erreicht werden. Hierbei kann mit kleinen Maßnahmen eine hohe Qualität des Straßenraumes erreicht werden.
Sind die Leichtigkeit des Kfz-Verkehrs und der Schutz, sowie die Sicherheit des Fuß- und Radverkehrs gegeneinander abzuwägen, müssen Schutz und Sicherheit des Fuß- und Radverkehrs Vorrang haben.
Dahingehende Planungen, die sich nicht unmittelbar aus der StVO (Straßenverkehrsordnung) ableiten lassen, verstoßen nicht notwendigerweise gegen dieses Recht. Um in diesem komplexen Handlungsfeld effektive Lösungen und Entscheidungen herbeizuführen, bedarf es in den Verwaltungen ausreichender personeller und technischer Ressourcen und ausgeprägter Fachkompetenz.
Auch auf stark belasteten Straßen kann bei verringerten Geschwindigkeiten ein leistungsfähiger Kfz-Verkehr stattfinden. Gleichzeitig können solche Straßen als attraktiv gestalteter Lebensraum aufgewertet werden. Positive Beispiele für ein Miteinander vielfältiger Straßennutzungen, auch aus anderen Ländern (z.B. Niederlande, Belgien, Schweiz und Österreich), müssen in Deutschland zur Nachahmung beachtet werden.
Eine oft vergessene Spezies: Fußgänger_innen
Nicht nur die Wohnbevölkerung leidet seit Jahrzehnten in autogerechten Städten. Denn tatsächlich können auch die Verkehrsteilnehmer_innen schmale, zugeparkte und anderweitig fremd genutzte Geh- und Radwege zum einen und Stau-überfüllte Fahrbahnen zum anderen kaum als lebenswert bewerten. Fußgänger_innen beleben dagegen den öffentlichen Raum und tragend entscheidend zu Urbanität, Sicherheit und Lebensqualität von Quartieren bei.
Fußgänger_innen sind in der Planung als sensibelste Gruppe, im Hinblick auf Entfernung, einzuordnen.
Wie Trampelpfade auf Verkehrsinseln und in Grünflächen zeigen, nutzen zu Fuß Gehende die direkteste Verbindung. Wege müssen daher in ihrer Direktheit, aber auch in Breite und Ausleuchtung so gestaltet werden, dass ihre Benutzung attraktiv wird. Fußverkehr muss als eigenständige Verkehrsart verstanden werden.
Die spezifischen Belange müssen bei allen Planungen und Baumaßnahmen als Selbstverständlichkeit berücksichtigt werden.
Hierzu zählt im Zuge eines Konzeptes beruhigter Mobilität insbesondere die Installation eines Fußwegnetzes. Dieses muss die Anlage geeigneter Querungsangebote, die Sicherung ausreichender Grünphasen, den Bau breiter Gehwege, Durchgrünungsmaßnahmen und bedarfsgerechter Sitzangebote einschließen.
Mehr Freiheit für Kinder
Kinder und Jugendliche müssen sich in einer Stadt gerne und sicher bewegen können.
Deshalb ist in Entwicklungen politisch, wie planerisch entgegenzuwirken, die diesem Ziel im Wege stehen. Dazu gehört die Überlastung der Straßen durch motorisierten Verkehr und der unverhältnismäßig große Raumbedarf der Erwachsenen für z.B. Kfz-Stellflächen und Geschäftsauslagen. Auch durch eine zunehmende Verschulung der Kindheit nimmt der Lebens- und Erfahrungsraum von Kindern und Jugendlichen ab. Um ihnen ein selbständiges Fortbewegen zu ermöglichen und attraktive Aufenthaltsorte anzubieten, müssen ihre Belange und Vorstellungen bei der Gestaltung des öffentlichen Raumes von den Verantwortlichen berücksichtigt werden.
Planungen sind also bereits in den ersten Phasen mit Kindern und Jugendliche hinsichtlich deren spezifischen Erfahrungen abzustimmen.
Die Aufstellung eines Konzeptes nutzbarer sicherer Wege für jugendliche Fußgänger_innen und Radfahrer_innen zur Spielraumgestaltung und -vernetzung muss selbstverständlich sein, damit sich diese sicher und selbstständig in der Stadt zu Fuß und mit dem Rad bewegen können.
Dabei gilt: Auch mit geringen finanziellem Ressourcen können Kommunen z.B. nach dem Vorbild der bespielbaren Stadt Griesheim oder in der Gemeinde Petersberg solche Netze zusammen mit Kindern entwickeln.
Respekt für alte Menschen im Verkehr
Der Tatsache, dass der gesellschaftliche Anteil der Senior_innen zunimmt, ist Rechnung zu tragen. Gleiches gilt für zunehmende Fitness- und Mobilitätsfähigkeit älterer Generationen, sei es mit dem Auto, dem Rad oder zu Fuß.
Dies ist als Herausforderung zur Pflege und Entwicklung einer Mobilitätskultur zu verstehen, die Generationen verbindet.
Die Schaffung seniorengerechter Mobilitätsstrukturen ist dann kein ungewöhnlicher Aufwand, wenn künftig z.B. Sitz- und Ausruhmöglichkeiten, Fahrpläne mit lesbarer Schrift, ausreichende Grünphasen, barrierefreie, Querungsstellen Gegenstand und Ziel vorausschauender Planung werden.
Die Stadt- und Verkehrsplanung muss darauf reagieren, damit unsere Städte seniorenfreundlicher werden. Die „beSITZbare Stadt“ Griesheim zeigt, wie es möglich wird, mit einfachen Mitteln z.B. Sitzmöglichkeiten.
Barrierefreiheit nützt Allen
Barrierefreiheit nützt nicht nur gehbehinderten Menschen, sondern auch dem Laufrad fahrenden Kind, der Skateboarderin oder dem Vater mit Kinderwagen. Barrierefreiheit heißt auch, dass blinde oder seheingeschränkte Menschen.z.B. an einer Haltestelle Informationen zum Fahrplan bekommen. Umfassend geplante Barrierefreiheit muss also auf viele unterschiedliche Ansprüche an einen flexibel nutzbaren öffentlichen Raum abgestimmt sein.
Daraus folgende Maßnahmen müssen nicht aufwendig sein. Oft reicht z.B. die Entfernung von Pollern auf Radwegen, das Anbringen von fehlenden Rampen an Treppen oder das Aufstellen einer Seniorenbank an einem Weg zum Einkaufszentrum.
Wir brauchen Barrierefreiheit aber nicht nur in der Infrastruktur, sondern auch in den Köpfen. Die Barrieren, die Menschen daran hindern zu gehen und Rad zu fahren statt das Auto zu nutzen, müssen mit aufklärender und wertschätzender Kommunikation weiter eingerissen werden.
Umweltgerechtigkeit für alle Bewohner_innen und Gäste der Stadt
Umweltzonen sind kein Ziel an sich. Feinstaubpartikel gefährden Gesundheit und Leben und tragen zur früheren Sterblichkeit bei. Gesundheitsgefährdung ist grundsätzlich nicht zu Gunsten anderer Interessen abwägbar. Dies gilt auch für stellenweisen Widerstand gegen Umweltzonen z.B. seitens des Einzelhandels.
Nicht formale Grenzwertoptimierung, sondern lebenswerte Luft für alle muss auch das Ziel kommunaler Mobilitätspolitik sein. Wirksamstes Mittel dafür ist der offensive Ausbau des Umweltverbundes, besonders des Fuß- und Radverkehrs sowie emissionsarme Transportsysteme für den Güterverkehr z.B. mit Elektroantrieb.
Wir fordern eine inhaltliche Erweiterung des Umweltzonen-Konzeptes und größere Umweltzonen in den Kommunen, um damit die Situation auch sozial Benachteiligter - die oft an Hauptverkehrsstraßen wohnen - zu verbessern.
Zu viel Lärm – Recht auf Ruhe für alle
Lärm erhöht den Blutdruck, verursacht Stress und macht ganz einfach krank. Der Zustand, dass viele Städte an stark befahrenen Straßen bis heute nicht den EU-Vorgaben zur Lärmminderungsplanung folgen, ist abzustellen. Dennoch erfahren Kommunen, die z.B. Lärmaktionspläne aufgestellt haben, oft genug die behördliche Ablehnung der vorgeschlagenen Maßnahmen. Behörden müssen von den Verantwortlichen strikt angehalten werden, Ermessen im Sinne der rechtlichen Zielsetzung auszuüben, durch wirksame Lärmminderung Schäden an Menschen zu vermeiden.
Die Minderung des Aufkommens der Lärmquellen ist dabei gleichzeitig ein effektiver Beitrag zur Verbesserung der Verkehrssicherheit und der Aufenthaltsqualität.
Geschwindigkeitslimits wie "Tempo 30" sind jedoch nur in dem Umfang wirksam, in dem sie auch durchgesetzt werden. Gegenüber dem Aufwand für Kontrollen, ist die bauliche Umgestaltung einer Straße, so dass Autofahrer intuitiv 30 fahren lässt, weit wirksamer. Ebenfalls kommen der Einsatz von Dialog-Displays, leisere Fahrbahnbeläge und Fahrverbote für LKW in Frage.
Finanzierung unserer Mobilität
Mobilität ist ein Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe. Aber die Faktoren, die diesen Schlüssel bestimmen, sind ungerecht. Es muss daher Aufgabe sein, eine bezahlbare und stadtverträgliche Mobilität für alle zu gewährleisten und so einer Mobilitätsarmut zu begegnen.
Die Aufwendungen von Schülern und AzuBis für den Weg mit dem Öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) zur Schule und zur Arbeit sind eine nicht zu vernachlässigende finanzielle Belastung.
Die Preise im öffentlichen Nahverkehr müssen angemessen und bezahlbar für Alle sein. Möglichkeiten der Finanzierung sind zu entwickeln und von Dritten zu übernehmen. Hierzu gehört das "Bürgerticket", das von allen Haushalten einer Kommune als Solidargemeinschaft finanziert wird. Die Kosten des ÖPNV sind nicht als "Defizit", sondern als eine langfristig wirksame Investition in Nachhaltigkeit zu werten.
Verkehrsplanung mit den Bürger_innen
Dem Dilemma vieler kommunaler Planungsverantwortlicher ist durch eine breit angelegte Beteiligung Betroffener zu begegnen. Deren Mitverantwortlichkeit ist zwar nicht rechtlich, aber doch politisch gegeben. Nur so können Widersprüchlichkeiten (z.B. einerseits der Wunsch nach Grün vor der eigenen Haustür, aber andererseits nach wohnungsnahem KFZ-Stellplatz) gemindert werden.
Bürgerbeteiligung nimmt Ängste, Befürchtungen und Anregungen derer ernst, die im Quartier wohnen, leben und arbeiten: Kinder, Jugendliche, Eltern und Senior_innen werden wie die Beschäftigten und Geschäftsleute gleichermaßen, als Expert_innen gehört.
Motivation und Akzeptanz steigt mit der Transparenz des Verfahrens, seiner Optionen für die Gestaltung der Verkehrsabläufe und erkannter oder gar gemeinsam überwundener Grenzen des zuvor Möglichen. Denn Bürgerbeteiligung muss mehr als nur Information sein, Konsultation und Kooperation müssen selbstverständlich werden.
Bürger- und Straßenfeste, Stadtteil-Spaziergänge oder Radtouren sind gut geeignet, um miteinander ins Gespräch über die Entwicklung des Wohnquartiers zu kommen und um allen die Chance zu geben ihre Interessen zu artikulieren.